Psychology ©Gerd Altmann (Pixabay)

Vera F. Birkenbihl pflegte bei ihrem berühmten Vortrag zum Thema „Fehlermanagement“ immer einen kurzen Ausschnitt von „Für Elise“ am Klavier vorzuspielen.

Wir hören den Beginn eines Liedes und wissen genau, wie es weitergeht. Neurowissenschaftler*innen aus Deutschland und Amerika haben sich nun damit beschäftigt, was konkret dabei in unserem Gehirn abläuft.

"Für Elise" in unserem Gehirn

Neurowissenschaftliche Theorien interpretieren Wahrnehmung als einen konstruktiven Prozess, bei dem das Gehirn aktiv ein Abbild seiner Umwelt auf der Basis von eingehenden Sinneseindrücken erstellt. Hierbei extrapoliert das Gehirn Regelmäßigkeiten, um eine Vorhersage über zukünftige Reize zu erstellen. Damit diese Vorhersagen aktuell und präzise sind, müssen sie auf kürzlich zurückliegenden sensorischen Reizen beruhen. Es war unbekannt, wie das Gehirn effektive Prädiktionen erstellen kann, obwohl Reizinformationen in ganz unterschiedlicher Geschwindigkeit eintreffen.

Wahrnehmung: Gehirn erstellt Vorhersagen auf Basis vergangener Reize

Über die Ergebnisse ihrer aktuell in „Nature Communications“ veröffentlichten Studie berichten nun Wissenschaftler/innen aus Düsseldorf und New York: Das Gehirn erstellt Prädiktionen auf der Basis einer konstanten Anzahl an Informationen und nicht auf der Grundlage einer fixen Zeitdauer.

Wie schafft es also unser Gehirn, z.B. die Melodie eines Liedes zu vervollständigen, obwohl dies in schnellem oder langsamem Tempo gespielt wird? Um diese Frage zu beantworten, haben Wissenschaftler/innen des UKD in Zusammenarbeit mit der New York University Tonfolgen generiert, deren zeitliche Regelmäßigkeiten stark denen natürlicher Reize wie Sprache oder Musik ähneln. Nach Präsentation dieser Tonfolgen sollten die Probanden im Rahmen einer Studie den letzten Ton jeder Tonfolge vorhersagen, während ihre Gehirnaktivität mittels Magnetoenzephalographie (MEG) gemessen wurde. Die Geschwindigkeit mit der die Tonfolgen präsentiert wurden, wurde dabei systematisch variiert.

Hypothesen & Erkenntnisse

So konnten die Wissenschaftler/innen zwei gegensätzliche Hypothesen testen: Stützt das Gehirn seine Vorhersage zukünftiger Reize auf eine fixe Zeitdauer, z.B. die letzten 30 Sekunden der Tonfolge, oder auf eine konstante Anzahl an Informationen, z.B. die letzten fünf Töne der Tonfolge?

Als Ergebnis konnten sie zeigen, dass unser Gehirn eher auf die Anzahl zurückliegender Reize achtet, als auf eine fixe Zeitdauer, um vorherzusagen, was als nächstes passieren wird. Unter Verwendung eines neuartigen und wirklichkeitsnahen Paradigmas zeigt diese Studie eine fundamentale Funktionsweise menschlicher Wahrnehmung auf und beleuchtet die zugrundeliegenden neuronalen Mechanismen.

Wissenschaftlicher Ansprechpartner
Dr. rer. nat. Thomas J. Baumgarten, Wissenschaftlicher Mitarbeiter / Postdoctoral Researcher
Institut für Klinische Neurowissenschaften und Med. Psychologie | Universitätsklinikum Düsseldorf
thomas.baumgarten@med.uni-duesseldorf.de

Originalpublikation
Thomas J. Baumgarten, Brian Maniscalco, Jennifer L. Lee, Matthew W. Flounders, Patrice Abry, Biyu J. He: Neural integration underlying naturalistic prediction flexibly adapts to varying sensory input rate
DOI: 10.1038/s41467-021-22632-z

Weitere Informationen: www.nature.com/articles/s41467-021-22632-z


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